04.02.2023
Detouring with Traction: Stanya Kahn
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Peripherie“
Peripherie ist eine Veranstaltungs-, Recherche- und Ausstellungsreihe, die sich dem Phänomen des „Peripheren“ widmet. Eröffnet wurde das Programm mit der Filmreihe Detouring with Traction, die von Kathrin Wojtowicz kuratiert wurde.
Der Zusammenhang von Peripherie und Perspektive bildet den Ausgangpunkt für die Filmreihe. Welche Perspektiven lassen sich auf Randbereiche und vermeintlich klare Trennlinien zwischen Peripherie und Zentrum werfen? Und wie sind Fragen nach Formen des Zusammenlebens, der Konstruktion und Beschaffenheit von Landschaften oder Identitäten damit verbunden?
Der dritte Teil der Filmreihe gibt mit Stand in the Stream und No Go Backs einen Einblick in die filmische Arbeit Stanya Kahns. Das Interesse der Künstlerin für die Auswirkungen soziopolitischer Bedingungen auf gelebte Erfahrung prägt ihre vielfältige Arbeitsweise, die neben dem Zugang zum bewegten Bild auch Medien wie Malerei, Skulptur/Installation, Zeichnung, Text, Sound und Performance umfasst. Die Beziehungen zwischen Fiktivem, Dokumentarischem, Realem und Hyperrealem setzt Kahn in Bezug zu verschiedenen Aspekten von Zeit und involviert dabei ihre unmittelbare Umgebung ebenso wie die eigene Position. Stand in the Stream (2011–2017, 60 min) reflektiert unter Verwendung einer immensen Ansammlung von Bildmaterial in verschiedensten Kameraformaten den Wandel gesellschaftspolitischer Verhältnisse, gegenwärtige mediale Entwicklungen, weltweite Krisen und persönliche Lebenszeit. In unablässig aufeinanderfolgenden Sequenzen arrangiert Stanya Kahn Fragmente von Aufnahmen aus dem privaten und dem öffentlichen Bereich und legt so die Untrennbarkeit des Persönlichen mit dem Politischen offen. Die gemeinsame Soundkomposition mit Alexia Riner verbindet u. a. in Echtzeit gefilmte Live-Streams weltweiter Proteste und Nachrichten, skurrile Internet-Chats, tagebuchartige Aufnahmen des familiären Alltags, Handyfilme und Home Movies. Dabei führt der Film durch verschiedene Umgebungen und Kontexte des öffentlichen wie privaten Lebens und deren Schnittstellen: Landschaften, Autofahrten, Mitschnitte von Demonstrationen, Menschen in U-Bahnen, digitale Welten, urbane, häusliche und halböffentliche Räume. Auf direkte Weise integriert die Künstlerin dazwischen die eigenen Erfahrungen, begleitet das Aufwachsen ihres Sohns und den sich verschlechternden Zustand und Tod ihrer Mutter, die sich in ihrem Leben als politische Aktivistin gegen ausbeuterische Strukturen engagiert und positioniert hat. In No Go Backs (2020, 34 min) verlassen zwei Jugendliche – Kahns Sohn Lenny Dodge-Kahn und dessen bester Freund Elijah Parks – die Stadt auf ihren Fahrrädern durch den Kanal des Los Angeles River in die Wildnis. Abseits chrononormativer Zeitlichkeit bewegen sie sich auf den Spuren der kalifornischen Wasserkriege durch die monumentale Landschaft der Sierra Nevada. Ihre Reise ins Unbekannte führt die beiden durch verlassene Strukturen, in extreme Wetterverhältnisse und surreale wie prekäre Situationen. In einer ambivalenten Atmosphäre aus abenteuerlichem Spiel, Traum und herausfordernder Suche nach einer grundlegenden Versorgung geraten wesentliche Fragen nach dem Umgang miteinander und mit dem Umfeld in den Blick. Die Sprache ist abwesend, eine durchgängige Soundpartitur umrahmt die analogen Aufnahmen, die sich zu einer Allegorie verdichten. Als immer mehr Kinder und Jugendliche die Freunde zu einer Gemeinschaft ergänzen, zeigt sich das Potenzial einer Generation, die andere Wege in dystopisch erscheinende Zukünfte erfinden muss.
Stanya Kahn lebt und arbeitet in Los Angeles. Ihre Arbeiten wurden u. a. im Institute for Contemporary Art/Los Angeles, im Wexner Center for the Arts/Ohio, im MoMA/PS1/New York, im New Museum/New York, im British Film Institute/London, beim Rotterdam International Film Festival, im Walker Art Center/Minneapolis, im Hammer Museum/Los Angeles, im Astrup Fearnly Museum/Oslo und bei Susanne Vielmetter Los Angeles Projects gezeigt. Ihre gemeinsame Arbeit mit Harry Dodge war bei der Whitney Biennale/New York, beim Sundance Film Festival, im MOCA/Los Angeles, im ZKM/Karlsruhe und im MoMA/New York zu sehen. Kahn war Mitautorin und Darstellerin des Spielfilms By Hook oder By Crook (2001), ihre Texte und Zeichnungen erschienen bei LTTR, MIT Press, UC Press und 2nd Cannons.
Kathrin Wojtowicz lebt in Wien. Sie arbeitet mit Skulptur, Bild und Text und interessiert sich für die Zusammenhänge zwischen sozialen Bedingungen, Körperpolitiken und Medien. Ihre Arbeiten wurden u. a. in der Halle für Kunst Lüneburg, Galerie der Stadt Schwaz/Tirol, Sala Terrena/Heiligenkreuzerhof und im Ausstellungsraum Schleuse/Wien gezeigt. Zurzeit unterrichtet sie an der Kunstuniverstät Linz.
Film still, No Go Backs by Stanya Kahn © 2020, Courtesy of Stanya Kahn and Vielmetter Los Angeles
Video Still, Stand in the Stream by Stanya Kahn ©2011–17, Courtesy of Stanya Kahn and Vielmetter Los Angeles

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