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12.02.2025

Weinen und dann lächelnd weitergehen. Über die Filme von Gernot Wieland

Ferial Nadja Karrasch

You do not leave traces of your presence, just of your acts (Filmstill), 2024

Gernot Wieland versetzt uns in seiner Ausstellung You do not leave traces of your presence, just of your acts (7.9.-3.11.2024, Künstler:innenhaus Bremen) in einen beklemmenden Raum. In zweierlei Hinsicht. Da ist zunächst sein Eingriff in die Architektur des Ortes: Eine schräg verlaufende Wand transformiert den White Cube in einen fensterlosen, sich verengenden Korridor. Die für gewöhnlich bei Betreten des Raumes sehr präsente hintere Wand ist nur mehr eine Nische: Bloß einige Zentimeter breit, lässt diese Stelle keinen Ausweg – außer den Weg zurück. Die eingezogene Wand gibt sich als provisorisch zu erkennen, die Umrisse der einzelnen weiß gestrichenen Kartons ergeben ein uneinheitliches Muster. Kleine Löcher in der Wand ermöglichen den Blick auf die dahinter installierten Kunstwerke von Carla Åhlander, Jeroen Jacobs und Maxwell Stephens. Es sind Arbeiten, die ihm schon lange „im Kopf herumspuken“, wie Wieland sagt. Das Schauen, das Spicken durch die kleinen Öffnungen hat etwas Heimliches, als dürfe man nicht sehen, was sich dahinter verbirgt. Die Werke tauchen in unterschiedlicher Weise – als Bilder, Zitate oder als Verweise – in der Videoarbeit You do not leave traces of your presence, just of your acts auf. Eine weitere Inspiration, ein Auszug aus dem Gedicht A Record (2006) der kanadischen Dichterin Lisa Robertson, wurde mit Bleistift an eine Wand des Ausstellungsraumes geschrieben.

Die Videoarbeit ist im vorderen Bereich, vis-à-vis der Nische zu sehen. Und hier öffnet Wieland den zweiten bedrückenden Raum. Er breitet sich bei Betrachtung des rund 15-minütigen Films nach und nach in unserem Inneren aus.

Gernot Wieland "You do not leave traces of your acts, just of your presence" (2024), Ausstellungsansichten KH Künslter:innenhaus Bremen 2024. Foto: Fredd Dott

You do not leave traces of your presence, just of your acts ist Wielands jüngste Arbeit, in der er sich den persönlichen und kollektiven Traumata seiner österreichischen Herkunftsgesellschaft nähert. Er tut dies in seiner ihm eigenen Art: Da ist die melancholische Musik, die mit österreichischem Akzent gefärbte Erzählstimme, die spezielle Farbigkeit der Super-8-Sequenzen, der collageartige Einsatz unterschiedlicher Materialien. Die mäandernde, mal poetische, mal absurde Narration. Oft muss man schmunzeln, hier und da lachen, nur um im nächsten Moment von tiefer Betroffenheit ergriffen zu werden. Es ist ein emotionales Auf und Ab, und am Ende bleibt ein Unbehagen ob der Dinge, die man eben erfahren hat. Sind die menschlichen Abgründe, die Wieland in seinen filmischen Erzählungen beschreibt, wirklich so tief? Sind seine Geschichten wahr, zugespitzt oder bloß erfunden? Man wünschte sich lieber letzteres.

Die Protagonist:innen der sich in You do not leave traces… nach und nach entfaltenden Erzählung sind ein Ich-Erzähler, Maria, Daniel und Jackpot. Die erzählte Erinnerung an das gemeinsame Aufwachsen der vier streift Schilderungen von erlebter Gemeinschaft, von erstem Begehren, von Scham und Gewalt, von Sprachlosigkeit sowie von dem Wunsch, diese zu überwinden. Am Ende des Films spitzt die Narration sich zu einer Erkenntnis zu: „Jeder Versuch zu erzählen, bedeutet, die Frage zu beantworten: Wie konnte es dazu kommen?“ Denn am Ende sind zwei der vier Protagonist:innen tot, auf verschiedene Weise von der Gesellschaft getötet: Maria durch einen Femizid, Daniel durch Drogen, die ihm eigentlich nicht sein Leben, sondern die Erinnerungen an den prügelnden Vater nehmen sollten. Der dritte, Jackpot, verliert „am Zaun hängend den Verstand“.

You do not leave traces of your presence, just of your acts (Filmstill), 2024

Eine ganz eigene Ästhetik durchzieht sein Œuvre: Zeichnungen, Knetfiguren und handschriftliche Notizen werden mit Fotografien und Super-8-Sequenzen kombiniert und schaffen eine Bildebene, die mit dem gesprochenen Text eine bisweilen absurde Verbindung eingeht.

Dem künstlerischen Schaffen des 1968 im österreichischen Horn geborenen und seit 30 Jahren in Berlin lebenden Wieland liegt ein tiefsitzendes Bedürfnis zugrunde: Schon als Kind habe er wissen wollen, was hinter dem Verborgenen zu sehen sei, sagte er einmal in einem Interview. Bereits damals habe er bei den Erwachsenen eine Wut wahrgenommen, erzählt er im Gespräch mit der Autorin, von der er immer wissen wollte, woher sie komme. Statt Antworten zu geben, begegneten ihm die Erwachsenen mit Schweigen. Das stumme Verdrängen war in seiner Kindheit sehr prägend, so Wieland. „Warum Reden, wir haben doch die perfekte Schweigekultur“, stellt Jackpot im Zuge einer geträumten Therapiesitzung fest, woraufhin er und seine körperlich und emotional verwundeten Freund:innen lachend von den Stühlen kippen. Komisch und zugleich ernst ist die hier vorgestellte Idee einer kollektiven Therapiesitzung, an der schließlich das gesamte Land teilnimmt. Utopisch, vor allem in unserer heutigen Zeit. Aber wie schön wäre es, wenn unsere Gesellschaft den Willen besäße, sich einmal gemeinschaftlich auszusprechen…

Aus der kindlichen Neugier hat sich ein Werk entwickelt, das durchzogen ist von einer intensiven Auseinandersetzung mit seiner Herkunft Österreich - einem von generationsübergreifenden Traumata geprägten Land, dessen Schweigen erst in den letzten Dekaden nach und nach aufbricht. In seinem Œuvre analysiert Wieland gesellschaftliche Normen, repressive Strukturen und tief verankerte Mechanismen der Gewalt und der Kontrolle. Trotz der zuweilen schweren Themen – oder vielleicht gerade deswegen – sind seine Filme von einem Humor bestimmt, der mal verzweifelt, mal trotzig daherkommt. Wielands Humor hat unterschiedliche Schichten: Da sind zum einen die lustig aussehenden Zeichnungen und Knetfiguren sowie die durch die sehr besondere Sprache heraufbeschworenen Bilder (ein „anämischer Töpferkurs“!?). Häufig entstehen durch das Auseinanderfallen von Text- und Bildebene, aber auch durch das Assoziative, Sprunghafte der Erzählung, skurrile Momente, die laute Lacher hervorrufen können. Und immer wieder tauchen absurde Beschreibungen alltäglicher Beobachtungen auf – oder sind es Beschreibungen absurder Alltäglichkeiten?

Wieland nutzt den Humor als Instrument der Distanzierung und als Raum zum Trauern, um die Härten des Lebens verarbeiten zu können. Die damit einhergehende Melancholie, die seine Arbeiten verbindet, kommt von einer empfundenen Sehnsucht. Nach weniger Wut, weniger Gewalt, weniger Sprachlosigkeit.

Wieland, als Kind ein obsessiver Zeichner, findet in seinen Bildern eine eigene Sprache und kompensiert so die den Kindern auferlegte Sprachlosigkeit (den genauen Prozess beschreibt er in Bird in Italian is Uccello, 2021). In You do not leave traces… heißt es: „In meiner Kindheit ein Gespräch führen, ist wie ein Buch lesen, in dem fast alle Wörter weggestrichen wurden. Nur einzelne Wörter irren auf den Seiten herum und man muss ein ganzes Leben daraus lesen.“

Die Zeichnungen haben die Jahrzehnte des Heranwachsens überdauert und finden sich heute in seinen Werken wieder. Ergänzt durch aktuelle Zeichnungen und Diagramme verdeutlichen sie Wielands Versuche, Erlebnisse und Erinnerungen zu ordnen und in einen sinnhaften Zusammenhang zu bringen. Dem Kind Antworten geben, wenn auch viele Jahre später.

Kinderzeichnung

In seiner künstlerischen Beantwortung unbeantworteter Fragen lassen sich einige Motive ausmachen, die sich durch sein gesamtes Œuvre ziehen. Da ist beispielsweise der Himmel. You do not leave traces… beginnt mit einer Perspektive Jackpots. Glückselig aufgrund einer plötzlichen Einsicht in die Zusammenhänge seines Lebens, macht er sich auf, seinen Nachbarn zu umarmen. Zwischen ihm und diesem Nachbarn, einem Menschen, dem es im engen Normenkorsett der Gesellschaft so gut geht wie seinem stets kurz gemähten Rasen, steht ein Zaun. Und an diesem bleibt Jackpot kopfüber hängen, und blickt in den „neoklassizistischen Himmel“. In der Videoarbeit Turtleneck Phantasies (2022) berichtet der Ich-Erzähler von einer Episode aus seiner Kindheit: Er wird von seinem Großvater verlassen und bleibt stundenlang wie gefesselt auf seinem Stuhl sitzen. Den Blick in den Himmel gerichtet, wartet er darauf, dass die Dinge ihre körperliche Präsenz verlieren. Hier erfahren wir auch von einem Mann, der sich während des Zweiten Weltkriegs eine Mauer um sein Haus baute, um nichts mehr von der Welt sehen zu müssen; außer den Himmel. Und an anderer Stelle berichtet der Ich-Erzähler, dass ihm der Blick vom Bett in den Himmel Linderung von den emotionalen Schmerzen seines Seins schafft: „As long as I stay in it, I am free from all the situations that I carry in my body as a memory (…).“

Während es aus den zuweilen kafkaesk anmutenden Situationen, in die Wielands Protagonisten geraten, keinen realen Ausweg zu geben scheint, nimmt der Himmel die Funktion des mentalen Auswegs ein. Er repräsentiert ein Anderswo, einen Ort der Freiheit, an den sich die „Gefangenen“ fantasieren.

Himmel

Mit der Idee des Himmels als Refugio verbunden ist ein zweites Motiv, ein weiterer Ausweg aus einer unerträglichen Situation: das immer wiederkehrende Bild der Körperlosigkeit oder des unsichtbaren Körpers. Jackpot, gequält von der Frage „Warum bin ich so unglücklich? Warum sind wir das alle?“, freut sich auf sein Leben ohne Körper und in Thievery and Songs (2016) muss der Ich-Erzähler erst seinen Körper verlassen und in eine neue Welt eintreten, um seine eigentliche Welt verstehen zu können. In Turtleneck Phantasies erinnert sich der Erzähler an sein kindliches Ich, das sich den Körper mit Tattoos zukleisterte. Er möchte unsichtbar werden, auch, um der Angst zu entgehen, die ihm die katholische Religion implementiert hat. Eine weitere Episode ist einem Außenseiter gewidmet, einem Poeten, dessen Gedichte die kindliche Version des Erzählers berühren. Ungeachtet seiner Dichtkunst wird der Mann von den meisten Erwachsenen für sein Anders-sein mit Verachtung gestraft. „How do you make your body invisible when you are trapped in such structures?”, fragt der Erzähler. Der Dichter wählt den Tod durch Erfrieren.

unsichtbarer Körper

Mit dem Bedürfnis zu verschwinden ist auch das Motiv der Form verbunden, das auf eine repressive Gesellschaft anspielt. Und hieran knüpfen die Momente der Gewalt und der Gleichgültigkeit an. Die zu wahrende Form erscheint als Zwang zur Anpassung, als Imitation und Wiederholung, der sich die Gesellschaft verschrieben hat und die sie Heimat („home“) nennt (Bird in Italian is Uccello). Anders ist es in Ink in Milk. Hier beginnt ein Onkel des Erzählers mit seinem Körper Kristalle zu formen, um so die Traurigkeit seines Neffen zu lindern. Nach und nach beginnen alle Dorfbewohner:innen, mit ihren Körpern Kristalle zu formen, so dass die bis dahin bestehende Ordnung in sich zusammenfällt. Eine Zeit der glücklichen Unordnung bricht an. Die Natur, die sonst immer von dem Menschen beherrscht wird (zum Beispiel durch den täglich rasenmähenden Nachbarn), erobert sich ihren Raum zurück. Es endet mit dem Tod des Onkels und der Rückkehr zur gewohnten Form: „No crystals, no longings anymore“. Während die Kristallformen hier die Kraft des Subjekts zur eigenen Narration und zur Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen versinnbildlicht, steht das Motiv der Form in You do not leave traces… vor allem für Gewalt: Daniel wird von seinem Vater täglich verprügelt, „damit er wie eine Form aussieht“. Und Maria wird von ihrem Mann so schwer misshandelt, dass sie ihren Verletzungen erliegt.

Immer wieder blitzt im Kontext der Gewalt auch der Aspekt der Gleichgültigkeit auf. Im Zusammenhang mit Marias Tod sagt Jackpot: „Alle müssen es gehört haben, alle.“ Und der Erzähler fährt fort: „Er sucht wie ein wildes Tier die Beute, hat aber nur verschlossene Türen vor sich.“ Die emotionale Kälte der Menschen wird auch in Bird in Italian is Uccello thematisiert. Hier wird ein Gemälde erwähnt, in dem ein Kind der Sonne zu nahe kommt und verbrannt ins Wasser fällt – vermutlich ist hiermit „Landschaft mit dem Sturz des Ikarus“ von Pieter Bruegel dem Älteren gemeint. Niemand der Umstehenden schert sich darum, „no one is capable of developing a feeling”, sagt der Erzähler und lenkt den Fokus auf einen in der Mitte des Gemäldes positionierten „Schafarsch“ sowie auf den gelangweilten Schäfer daneben. „This Flemish painter described my upbringing and my country in one single painting”.

Schafarsch

Ein weiteres und letztes Motiv ist das des Raumes: In Wielands Filmen ist der Raum zumeist einer, in den man von der Gesellschaft gesteckt wird und aus dem so leicht kein Entkommen ist. Da ist zum Beispiel der angsterfüllte Raum, den der katholische Glaube errichtet: die unausweichliche Hölle oder Vorbestimmungen, denen nicht entgangen werden kann. Doch auch im Diesseits gibt die Gesellschaft bestimmte Räume vor, „which carry the hidden structures of the society in them and do not allow one to enter another room“. In Bird in Italian is Uccello steht die (unerreichbare) Landschaft für einen Ort ohne die Gesellschaft und ihre Zwänge: „this outside is like a room I cannot enter“. Den Räumen des Zwangs und der Anpassung steht in You do not leave traces… ein Raum der Freiheit gegenüber: Der jugendliche Daniel sowie das Begehren, das der Ich-Erzähler für ihn empfindet, ist ein Raum, der ihm das Existieren möglich macht.

Raum

Und letztlich ist da der Raum, in den Wieland uns, die Betrachtenden seiner Filme, versetzt. Es ist ein Raum voller Bestürzung über den Menschen, aber auch voller Humor.

Der Humor macht alles zugänglich, auch das, was im Argen liegt. Er macht es möglich, über Verletzungen, über Verschwiegenes, Unterdrücktes nachzudenken und vor allem: darüber zu sprechen. Anknüpfend an die räumliche Situation, die er in der Ausstellung im Künstler:innenhaus Bremen geschaffen hat, ließe sich sagen, dass Wielands Werk im Kern eine Botschaft trägt: Es gibt keinen anderen Weg zurück, als den, den wir bis hierher gegangen sind. Aber je nachdem, wie wir über diesen zurückgelegten Weg denken und sprechen, können wir den weiteren Weg verändern. Und das geht am besten mit einem Lächeln im Gesicht.

Translation: Good & Cheap Art Translators (Amy Patton)

Ferial Nadja Karrasch ist freie Autorin und lebt in Berlin.

Dieser Beitrag enstand im Rahmen von Gernot Wieland: You do not leave traces of your presence, just of your acts

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